Sam kommt aus reichem Hause und rebelliert mit Negativschlagzeilen gegen die Standards der adeligen Gesellschaft. Jackson verfolgt einen Plan und nimmt eine Stelle als ihr Bodyguard an, nachdem er den Dienst in der Armee quittierte.
Als ihr gemeinsamer Weg sie nach Everdeen River führt, ist zunächst keiner der beiden darüber erfreut. Doch der Ort weckt in ihnen eine verborgene Seite und romantische Gefühle. Alles scheint perfekt, wäre da nicht Jacksons Vergangenheit, die wie ein drohender Schatten über ihnen liegt und eine Gefahr birgt, die alles zu zerstören droht.
Werden sie es schaffen, ihre Schwierigkeiten zu überwinden?
Gefühlvoller Liebesroman im Outback-Flair über eine junge Adelige und einen Ex-Soldaten
**Buch des Monats September 2018 auf Bookrix.de**
Infos:
Genre: New adult Romance, empfohlen ab 14 Jahren
Seitenzahl: 340
Einzelband, erschienen September 2019 und als Neuauflage im Juli 2021
Spielt in einer ausgedachten Welt
Leseprobe
EINS
Sie tastet ihren Kopf ab und ihre Hand ist augenblicklich voller Blut. Sie dreht sich auf den Rücken. Eine große Platzwunde klafft an ihrer Schläfe. Donna schielt. Ich habe sie gut erwischt, dennoch lacht sie. »Keine wirklich feine Lady.«
»Nur eine Freundin des Mannes, den du umgebracht hast.« Ich drehe das Gewehr um und richte den Lauf auf sie. In mir wurde durch diesen grauenhaften Tag ein Schalter umgelegt, blendet einen Teil von mir aus. Den, der bereit wäre, ihr nicht noch mehr Schmerzen hinzuzufügen. Doch ihr Lachen holt Hass in mir zum Vorschein, ebenso wie der Gedanke an den leblosen Körper meines Freundes. Ich befinde mich in einem Tunnel und lege den Finger an den Abzug.
24. August, Morennia, Coragne Castle
Es gibt vermutlich unzählige Menschen auf der Welt, die gern im Besitz von viel Geld wären. Sie sind der Ansicht, dass Reichtum einem hilft. Dass er das eigene Dasein leichter oder sogar lebenswerter macht.
Ich habe das schon immer anders gesehen. Immerhin weiß ich, wovon ich spreche. Denn ich bin nicht irgendjemand, sondern einer dieser reichen Menschen, die glücklich und zufrieden sein müssten. Wieso empfinde ich diesen Luxus als Belastung? Was läuft schief bei mir?
Vielleicht liegt es daran, dass ich die Tochter von Clive Napier, dem Duke von Kasterly, bin. Adelaide Napier, die Duchesse von Kasterly, ist meine Mutter. Sie stehen weit oben in der Adelshierarchie, nur unwesentlich unter dem Königshaus selbst. Nicht viele Menschen müssten ihr Leben lassen, damit meine Eltern Anspruch auf den Thron hätten. Hoffentlich wird genau das aber niemals eintreten. Denn als Prinzessin eigne ich mich nicht, das weiß ganz Morennia. Ich bin nicht mal gut darin, meine derzeitige Rolle tadellos zu spielen.
Welche das außer der perfekten Vorzeigepuppe ist, die immer und überall genau überwacht wird? Ich bin nichts Geringeres als eine Lady. Für viele Menschen klingt das eindrucksvoll, aber eigentlich bedeutet dieser Titel rein gar nichts. Nicht im Vergleich zu dem meines Bruders, dem Marquess. Ryan ist der Erbe des Titels Duke von Kasterly. Er hat Anspruch auf alles, ich auf nichts.
Und ehrlich, das stört mich nicht im Geringsten. Um nichts in der Welt möchte ich mit ihm tauschen. Ich habe mit den Regeln der Gesellschaft nicht wirklich viel am Hut. Sie engen mich nur ein und verhindern, dass ich tun kann, was ich gern möchte. Schicke Kleider tragen, mich in höheren Kreisen bewegen, einen Mann mit Titel heiraten? Das ist nicht das, was ich will. Leider ist es aber das, was die Gesellschaft für eine Frau meines Standes vorsieht. Da mir das Erbe von Titeln und Vermögen als Tochter nicht zustehen, bleibt mir nur, eine gute Partie zum Heiraten zu finden. Dann wird mein Leben aus ehelichen Pflichten, dem Mutterdasein und gähnend langweiligen Tagen mit Benefizveranstaltungen oder Teepartys bestehen. Andere Frauen meines Alters und Standes tun genau diese Dinge gern, doch mir fehlt schlichtweg die Faszination dafür. Ich möchte mehr, als durch schickes Auftreten meine Familie zu repräsentieren und mich für die Gesellschaft zu engagieren.
Meine Eltern leben mir in dieser Hinsicht nichts vor, was meine Meinung ändern könnte. Der Tagesablauf meiner Mutter besteht aus den genannten Dingen, der meines Vaters darin, sich mit eitlen Menschen zu umgeben und einfach jedem, der in der Adelshierarchie unter ihm steht, das Leben zu erschweren. Weil er es kann, denn er ist der Duke. Niemand würde es wagen, ihm zu widersprechen.
Natürlich lässt sich allgemein nicht abstreiten, dass es angenehm ist, in einem prächtigen Anwesen wie Coragne Castle zu leben. Wir beschäftigen so viele Hausangestellte, dass ich mir nicht mal von jedem den Namen merken kann. Und obwohl ich den ganzen Tag von all diesen Menschen umgeben bin, fühle ich mich oft einsam. Die Vorzüge meines Lebensstils, nämlich der Reichtum und die schicken Kleider, gleichen leider nicht die negativen Aspekte aus, die er mit sich bringt.
Wo ich auch bin, alle legen immer ein besonderes Augenmerk auf mich. Das liegt allerdings nicht nur an meiner Herkunft, sondern auch den ständigen Fehltritten, die ich mir gern erlaube. Ich soll mich in der Öffentlichkeit benehmen und meiner Familie keine Schande machen. Doch ich habe mit der Zeit gelernt, dass das reine Auslegungssache ist. Es ist völlig egal, ob ich dem Earl von Rickshire betrunken auf die teuren Schuhe kotze oder nur vergesse, mich nach seinen Kindern zu erkundigen.
Es lässt sich nicht abstreiten, dass ich mit der Aktion am gestrigen Abend nicht zum guten Ansehen meiner Eltern beigetragen habe. Voller Stolz kann ich allerdings behaupten, dass es die spannendste Nacht meines Lebens gewesen ist. Nick, mein Leibwächter, wird das nicht bestätigen. Er war im letzten Jahr nur einer von vielen und ich mag ihn. Deswegen ist es fast schon schade, dass er sich in dieser Sekunde als gekündigt betrachten kann. Er trägt nicht mal die Schuld an dem Dilemma. Ich bin nicht aufzuhalten, wenn ich mir eine Sache erst mal in den Kopf gesetzt habe. Nick hat es versucht, doch er ist nicht in der Lage gewesen, die Katastrophe abzuwenden.
Jetzt stehe ich völlig übermüdet in meinem Zimmer und lasse mir von meinem Hausmädchen Annie Kleidung angeben, um mich für das Frühstück herzurichten. Wie stehen die Chancen, dass ich dieses Mal ernsthafte Konsequenzen zu erwarten habe? In der Regel straft man mich mit Missachtung. Man hat mir sogar mal Ausgehverbot für Feiern am königlichen Hof erteilt. Das allein beweist, dass meine Eltern mich nicht ausreichend kennen. Sonst wüssten sie, dass mich die Events dort nicht interessieren. Jede andere Party, auf der man nur entfernt Spaß haben kann, verbietet man mir ohnehin. Es schickt sich für eine Lady nicht, durch die Clubs in Morennia zu ziehen.
Während normale Frauen studieren gehen, von zu Hause ausziehen und ihren eigenen Weg gehen, sitze ich den lieben langen Tag nur herum. Wozu eine Universität besuchen, wenn ich ja doch nie einem Job nachgehen werde? Natürlich könnte ich ausziehen, sobald ich volljährig bin. Doch wohin, ohne Beruf und ohne das Geld meiner Familie?
Es gibt also nicht viele Dinge, mit denen ich mir die Zeit vertreiben kann. Vielleicht besteht deshalb meine liebste Beschäftigung darin, aus Langeweile meine Bodyguards zu vergraulen. Mein Vater setzt mir jetzt vermutlich den nächsten dieser schnöseligen Anzugträger vor die Nase, der mich dann mit seinem Leben beschützen muss. Keine Ahnung, wie viele es bisher gewesen sind, wer zählt da schon mit? Ich frage mich immer, wovor die mich schützen sollen? Es wird nicht gern gesehen, dass ich das Gelände verlasse. Und wenn ich es doch mal tue, ist ein Leibwächter äußerst hinderlich dabei. Immerhin sollte ich einen Mann finden, um Coragne Castle zu verlassen und am Ende nicht allein dazustehen. Das gestaltet sich leider schwierig. Welcher halbwegs gescheite Kerl traut sich denn in meine Nähe, wenn ich von einem finster dreinblickenden Mann – groß wie ein Schrank – begleitet werde und dieser jeden Annäherungsversuch immer gleich als potenzielle Gefahr einstuft? Genau. Zero.
Zugegeben, Nick ist nie so aufgetreten. Das hat aber weder ihm noch mir etwas gebracht. Er hat seinen Job verloren und ich lasse mir – wie jeden Tag – von Annie meine Kleider reichen. Und nur diese Tatsache lässt mich erkennen, dass ihr Leben noch beschissener ist als meines.
»Dein neuer Anstandswauwau trifft heute ein«, sagt Ryan mit einem amüsierten Lächeln.
Doch es gibt nichts zu lachen. Mein Bruder weiß, dass diese Leibwächter eher gut bezahlte Babysitter sind. Dennoch steht er vor mir, mit seinem furchtbar charmanten Auftreten und der perfekten Haltung, als befände sich unser Vater mit uns im Raum und könnte ihn jeden Moment für eine falsche Bewegung rügen. Doch der Duke von Kasterly gibt sich nur selten die Ehre, zum Frühstück zu erscheinen. Auch von der Duchesse fehlt – wie so oft – jede Spur.
Nur Ivan leistet uns Gesellschaft. Er fühlt sich, wie er schon oft erwähnt hat, reichlich unterfordert, weil wir uns am Kaffee selbst bedienen und sich seine erzwungene Anwesenheit daher eigentlich erübrigt. Dennoch ruhen seine Augen auf mir. Er scheint zufrieden zu sein, weil es mir gut geht und ich in dieser Nacht keine Verletzungen davongetragen habe. Seine müden Augen werden von Falten eingerahmt. Recht große Geheimratsecken verdrängen das schüttere und graue Haar. Wie alt er ist, weiß ich nicht. Doch er ist immer da gewesen und mir einer der liebsten Menschen. Er wirkt stets vornehm, korrekt und reserviert. In den Momenten, in denen ich allein mit ihm bin, ist er wie ein fürsorglicher Onkel.
Unzählige Male habe ich mich in die Küche der Dienstboten geschlichen, um dort mitten in der Nacht Eis zu essen oder an den Desserts für den nächsten Tag zu naschen. Als Ivan mich dort mal erwischte, fürchtete ich ein Donnerwetter. Ich war erst sieben Jahre alt und betrachtete damals durchaus alles um mich herum mit Ehrfurcht. Doch in besagter Nacht nahm Ivan sich einen Löffel und setzte sich zu mir, um gemeinsam mit mir das Tiramisu zu naschen, das die Köchin erst am Abend zubereitet hatte. Da verschwand das Gefühl der Angst in mir. Die Siebenjährige glaubte, einen Freund gefunden zu haben, doch mit der Zeit realisierte ich, dass Ivan nicht mein Freund ist. Wenn man sich aber in meinem Bekanntenkreis umsieht, kommt er dem am nächsten, und deswegen betrachte ich ihn gern noch heute als meinen Verbündeten. Ich weiß, dass er es genauso sieht. Er hätte mich ermahnen und mir klarmachen können, dass mein Fehltritt der vergangenen Nacht nicht gutzuheißen ist. Das würde ich ihm nicht übelnehmen. Aber er steht nur da und lächelt mich diskret an, froh darüber, dass es mir gut geht.
Ryan sieht mich nicht vorwurfsvoll an, doch sein Tonfall klingt entsprechend. »Musstest du es gestern ausreizen?« Ihm geht es aber vermutlich gar nicht darum, dass ich mal wieder Mist gebaut habe. Er hasst lediglich den Gedanken, dass unsere Eltern nicht zufrieden mit mir sind. »Die Nummer gestern war sogar für dich ein Meilenstein, Sam.«
Dass Ryan nie nachgibt, ist eine durchaus lobenswerte Eigenschaft an ihm, aber in diesem Augenblick störend. Ja, ich habe ordentlich Mist gebaut. Und der einzige Grund dafür, dass ich zu Hause und nicht in Polizeigewahrsam bin, ist mein Titel. Vielleicht habe ich ja eine Macke, irgendeinen psychischen Knacks. Ich tanze meinen Bodyguards auf der Nase herum, um Aufmerksamkeit zu erhalten. Nicht die von irgendjemandem, nein, bloß die meiner Eltern, damit ich mir nur ein einziges Mal nicht wie ein Nichts vorkomme.
Ich erinnere mich an Zeiten, da war alles anders. An Abende, die ich mit meiner Mutter gemeinsam vor dem Fernseher verbracht habe. Chips essend, lachend und Späße machend. Wann hat sich das geändert? Warum? Ich hatte immer gehofft, dass ich mehr sein könnte als nur ein hübsches Anhängsel. Da meine Eltern das aber offenbar anders sehen, stöhne ich in diesem Moment nur genervt auf.
»Was wissen wir über den Neuen?«
»Oh nein!«, wehrt Ryan kopfschüttelnd ab. »Ich werde dir mit Sicherheit keine Tipps geben, wie du ihn gleich wieder in die Flucht schlagen kannst. Lass dich überraschen und mach das Beste daraus. Vielleicht versuchst du mal, länger als einen Monat mit ihm auszukommen. Er soll jedenfalls ein anderes Kaliber sein.«
Interessiert hebe ich den Kopf und lächele ihn an. »Eine harte Nuss also?«
Für mich bedeutet das lediglich eine neue Herausforderung. Bisher bin ich jeden losgeworden, und ich rechne nicht damit, dass es mir beim Nächsten schwerer fallen wird.
Ryan steht auf, beugt sich grinsend zu mir herunter und drückt mir einen Kuss auf den Haaransatz. »Wollen wir heute Abend ins Kino?«
»Habe ich etwa keine Ausgangssperre?«
Ryan schüttelt bloß den Kopf. Meine Eltern sehen anscheinend endlich ein, dass das nicht originell ist. Mein Bruder wirft mir einen liebevollen Blick zu. Er will mich wahrscheinlich auf andere Gedanken bringen, das rechne ich ihm hoch an. Aber die seltenen, gemeinsamen Unternehmungen reichen schon lange nicht mehr aus, um mich aufzuheitern. Erst recht nicht, wenn wir auf übertriebene Weise im Mittelpunkt stehen, weil man den Kindern des Dukes einen ganzen Kinosaal freihält, damit sie bloß nicht auf nette Menschen treffen.
»Vielleicht«, antworte ich dennoch. »Aber du solltest mich für mein Fehlverhalten nicht noch belohnen.«
Mir ist das selbst bewusst und ich schmiede trotzdem einen Plan, wie ich meinem neuen Babysitter entkommen kann, um am Wochenende auf Peers Party zu gehen. Traurig, oder?
Ryan blickt mich mitfühlend an. »Du bist meine kleine Schwester, ich kann nicht anders.« Er leert die Kaffeetasse in einem Schluck, beißt in sein Brötchen und eilt zur Tür, nachdem er auf seine Armbanduhr geschaut hat.
»Hab dich lieb!«, rufe ich ihm nach und höre ein Nuscheln aus seinem vollen Mund, das wohl eine Erwiderung sein soll.
ZWEI
24. August, Morennia, Coragne Castle
Um die Zeit nicht sinnlos zu vertrödeln, ziehe ich mich gleich nach dem Frühstück in den Garten zurück. Dort steht eine Liege und es kommen nicht viele Dienstboten vorbei. Ich kann dort also ungestört einem meiner wenigen Hobbys nachgehen; dem Lesen.
Nur Annie hält sich unweit von mir auf. Sie sitzt auf einer Decke in der Wiese, lautlos und kaum wahrzunehmen. Ihre Haut ist so blass, dass sie einer der Vampire aus meinen Romanen sein könnte. Sie hat hellgrüne Augen, die mich immerzu verunsichert anstarren. Die Farbe kommt neben ihrem blonden Haar, das stets zu einem straffen Knoten an ihrem Hinterkopf zusammengebunden ist, gut zur Geltung. Oft frage ich mich, wie man sich freiwillig solch eine Frisur antun kann. Ich bekomme nach nur wenigen Minuten Kopfschmerzen, wenn ich meine Haare zu einem Zopf zusammenbinde. Das ist der Hauptgrund dafür, wieso ich sie stets offen trage.
Annie ist in meinen Augen eine natürliche Schönheit. Ihre Haut mag blass sein, aber sie ist makellos. Ihre grünen Augen funkeln beim richtigen Lichteinfall, und ich bin mir sicher, dass ein Mann sich durchaus darin verlieren könnte.
Aber so wie ich ist Annie damit gestraft, in diesem prachtvollen Haus festzusitzen, und wird niemals ihren Traummann finden. Nicht, solange sie nicht kündigt. Und solange sie das nicht tut, kommt sie kaum dazu, Coragne Castle zu verlassen. Es gibt zwar den einen oder anderen Hausjungen, sogar der zweite Kellner ist ein attraktiver Kerl, aber ich wünsche mir für Annie etwas Besseres. Zwar mag jeder dieser Männer ein guter Mann sein, aber was könnte einer von ihnen Annie schon bieten? Als Hausangestellter wird man nicht reich. Bloß weil sie nur ein Hausmädchen ist, soll sie nicht gezwungen sein, Abstriche zu machen. Immerhin ist sie meines. Mein eigenes, mir unterstelltes Hausmädchen. Das hebt sie im Vergleich zu ihren Mitstreiterinnen ein bisschen ab. Zwar hat sie deshalb keine Chance auf einen Earl, aber ein guter Fang ergibt sich mit Sicherheit eines Tages. Und wenn ihre funkelnden grünen Augen dann ihren Traumprinzen finden, werde ich sie, sofern es mir irgendwie möglich ist, unterstützen.
Da aber aktuell weit und breit keine geeigneten Männer in Sicht sind, überlasse ich sie sich selbst und widme mich meinem neuen Buch. Ich habe gerade die ersten Seiten gelesen und stehe kurz davor, in die Geschichte einzutauchen, da reißt mich ein Räuspern wieder heraus.
»Ich werde hier noch Stunden sitzen«, grummle ich und wende mich nicht mal der Person zu, die nach meiner Aufmerksamkeit verlangt. Ich kann mir schon denken, wer es ist, und ich bin nicht in der Stimmung, mir durch den Anblick meines neuen Bodyguards den Tag vermiesen zu lassen. »Dort zu stehen wird also auf Dauer für Sie recht ungemütlich. Nick hat sich immer gesetzt.«
»Nicholas wurde gefeuert, Mylady.«
Ich bin angenehm von der tiefen Männerstimme überrascht. Dennoch drehe ich mich nicht um.
»Nick wurde nicht dafür gefeuert, dass er mir schweigend beim Lesen Gesellschaft geleistet hat.«
»Nein, er wurde gefeuert, weil Sie ihm entwischt sind«, erwidert mein Bodyguard in einem strengen Tonfall, der keinen Zweifel daran lässt, dass er sich durch meine Unhöflichkeit provoziert fühlt. »Aber glauben Sie mir, das passiert mir nicht. Wenn Sie jetzt also so freundlich wären, sich mir für einen Augenblick zuzuwenden, damit ich mich Ihnen vorstellen kann?!«
»Sie haben anscheinend irgendwann mal die Fähigkeit zu Sprechen erlernt. Sie können sich mir also jederzeit vorstellen, aber warum ich Sie deshalb ansehen sollte, ist mir ein Rätsel.« In meiner Stimme hat deutliche Ablehnung gelegen.
Ich habe kein schlechtes Gewissen, weil ich unfreundlich bin. Nur zu einem Bodyguard bin ich bisher nett gewesen. Nick hat sich vorgestellt und direkt in einem Schwall aus unzähligen Worten erklärt, warum diese Stelle wichtig für ihn sei und dass es ihm peinlich sei, wenn der Duke von Kasterly ihm gleich am ersten Tag wieder kündigen würde. Damit hat er mein Mitleid geweckt und mich dazu gebracht, ihn verhältnismäßig lange in meiner Nähe zu dulden. Ich gehe nicht davon aus, dass ich mich noch mal so um den Finger wickeln lasse. Sicher bin ich mir, als mir der neue Bodyguard das Buch entreißt und sich direkt vor mir aufbaut.
»Ist das Ihr Ernst?«, entfährt es mir aufgebracht. »Auf diese Weise wird das hier nicht laufen, haben Sie mich verstanden?«
»So sollte es nicht laufen, aber das wird es, wenn Sie mich wie Ihren Fußabtreter behandeln. Stehen Sie gefälligst auf und sehen Sie mir in die Augen, damit ich mich vorstellen kann.«
Was ist denn bitte sein Problem? Himmel, so hat noch nie jemand mit mir gesprochen. Nicht meine Familie, die Hausangestellten und erst recht nicht ein Bodyguard. Für wen hält der Kerl sich? Fassungslos sitze ich da und finde für einen Augenblick keine Worte, um auf seine Aussage zu reagieren.
»Sie wissen aber schon noch, mit wem Sie hier sprechen, oder?« Ich blicke angestrengt zu ihm auf und damit gegen das grelle Sonnenlicht. Meine Augen gewöhnen sich langsam an die Lichtverhältnisse.
Er steht breitbeinig da, die Hände hinter den Rücken gelegt. Mir fällt auf, dass er keiner der Anzugträger ist, die mein Vater mir sonst immer vorsetzt. Er trägt eine Jeans, die Schnalle seines Gürtels ist zerkratzt und glanzlos. Das Hemd ist zerknittert, die Ärmel sind hochgekrempelt. Dann fällt mir die Kette um seinen Hals auf. Irritiert mustere ich sie. Ich kenne das graue Metall mit der eingravierten Nummer zu genüge von Ehrungen, an denen ich teilnehmen musste. Die Erkennungsmarke der Armee zu sehen, beeindruckt mich ein bisschen.
Der neue Bodyguard mustert mich ausdruckslos. »Lady Samira Napier, Wohnsitz Coragne Castle. Vater Clive Napier, Duke von Kasterly. Mutter Adelaide Napier, Duchesse von Kasterly. Älterer Bruder Ryan Napier, Lord von Kasterly, Erbe des Titels. Jüngere Schwester Ariel Napier, selten im Gespräch, da ganzjährig im Internat, weil schwarzes Schaf der Familie.«
Ich finde es erschreckend, was er alles weiß.
»Ihnen scheint also durchaus bewusst zu sein, wer hier vor Ihnen steht«, gebe ich mahnend von mir. Ich versuche ruhig zu sprechen, höre aber den aufgebrachten Unterton in meiner Stimme. »Trotzdem ist mir ein solch unverschämtes Verhalten wie Ihres noch nie untergekommen.«
Mein Gegenüber starrt mir in die Augen. Ich spüre es, obwohl ich sein Gesicht nicht erkennen kann, weil die Sonne mich blendet. »Dito, Mylady.«
Die Körperhaltung meines Bodyguards ist tadellos. Noch dazu ist er muskulös, es wirkt allerdings nicht so übertrieben wie bei vielen dieser Fitnessfanatiker in den Clubs.
»Wie bitte?« Das sind die einzigen Worte, die ich nach einer kurzen Schweigepause herausbringe.
»Sie sind eine Lady, Tochter eines Dukes, aber deswegen dulde ich noch lange nicht, dass Sie sich so dermaßen snobistisch verhalten. Ich sage Ihnen, wie die Sache hier tatsächlich aussieht. Ihre Eltern zahlen mir eine Menge Geld, damit ich es mit Ihnen aushalte. Sie werden mich also nicht mehr los, völlig gleich ob Sie sich nett verhalten oder sich aufführen wie eine verwöhnte Göre. Warum Sie sich aber gleich für den unangenehmen Weg entscheiden, ist mir nun ein Rätsel.«
Unangenehm ist vor allem dieser Moment. Außerdem macht er mich so wütend, dass ich nicht länger weiß, wie ich noch darauf reagieren soll.
»Jetzt reicht es mir aber wirklich!« Wütend springe ich auf und presche an ihm vorbei. Geradewegs auf Ivan zu, der in diesem Augenblick an uns herantritt und einen ernsten Gesichtsausdruck auflegt. »Mr Donohoe, zeigen Sie Mr …« Verdammt.
»Wie praktisch es doch jetzt wäre, wenn Sie mir einfach gleich die Möglichkeit gelassen hätten, mich höflich vorzustellen, nicht wahr?« Die Stimme des Soldaten lässt keinen Zweifel aufkommen, dass ich es mir mit ihm verscherzt habe.
Ich werfe ihm einen finsteren Blick zu, bedeute Annie, mir zu folgen, und wende mich wieder an Ivan. »Zeigen Sie meinem Bodyguard, wo er schläft. Und dann tun Sie mir bitte den Gefallen und halten ihn den Rest des Tages von mir fern.«
Als Annie an diesem Abend mein Zimmer betritt, um mir beim Ankleiden für das Abendessen zu helfen, wirkt sie noch verunsicherter als sonst. Ihre zittrigen, dünnen Finger richten meine Frisur. Sie ist seit etwa drei Monaten mein Hausmädchen und hat seitdem kaum ein vernünftiges Wort mit mir gewechselt. Warum, das ist mir schleierhaft.
Erst als sie fertig ist, drehe ich mich zu ihr und spreche sie an. »Annie, warum haben Sie Angst vor mir?«
»Angst, Mylady?«, erwidert sie verunsichert.
»Sie reden nie mit mir und starren mich an, als würde ich Sie jeden Moment anfallen und als Vorspeise zum Dinner verputzen.«
»Mylady möchte sich also unterhalten?« Annie wirkt kein bisschen selbstbewusster und malt sich vermutlich aus, dass ich mich wirklich auf sie stürzen werde.
Es fällt mir immer schwer, nachzuvollziehen, dass unser Titel in der heutigen Zeit bei den Menschen so viel Ehrfurcht auslöst. Die Mädchen, die oft schon in jungen Jahren anfangen, für uns zu arbeiten, sind zu diesem Verhalten erzogen worden.
Eine Weile sehe ich Annie nur an. »Natürlich will ich mich unterhalten«, bemerke ich so freundlich, wie es mir möglich ist. »Ich sitze den ganzen Tag hier herum und lese Bücher. Ja, ich mache das gern, aber sind Sie denn noch nie auf den Gedanken gekommen, dass ich mich auch mal unterhalten möchte?«
Annie zögert merklich. »Mit mir?«
Ich stoße ein Seufzen aus. »Natürlich mit Ihnen. Ach, wissen Sie was, Annie? Vielleicht hilft es uns ja, wenn wir ein bisschen persönlicher werden. Sie dürfen mich von nun an gern Sam nennen, in Ordnung?« Das scheint nicht zu helfen, Annies Augen werden lediglich größer. »Ich beiße nicht«, sage ich, doch auch das lässt sie nicht weniger verwundert gucken.
Das ändert sich auch nicht, als sich die Tür öffnet und Ava Bailey in mein Zimmer tritt. Sie räuspert sich. »Annie, du wirst jetzt in der Küche gebraucht. Ich übernehme für dich.«
Schon eilt mein Hausmädchen davon.
Ich schüttele lächelnd den Kopf, stütze ihn auf der Hand ab und seufze.
Ava lächelt ebenfalls. »Sie ist nicht Ihre Freundin. Sie gehört zum Personal und ist sich ihrer Stellung bewusst.«
»Sie gehören auch zum Personal und trotzdem geben Sie mir nicht das Gefühl, dass ich Ihr menschlich gewordener Albtraum bin.«
»Ach, Mylady, Sie waren mein Albtraum«, sagt Ava grinsend und ich mustere sie überrascht. »Sie waren ungefähr zwei Monate alt, als sie es bereits schafften, mich zum Weinen zu bringen. Sei es, weil sie ununterbrochen schrien und mich dadurch um meinen Schlaf brachten oder weil Sie die süßesten Dinge anstellten und mir vor Freude die Tränen in die Augen stiegen. So süße Dinge, ganz anders als heute.«
Ich seufze. »Sie sind enttäuscht von mir.«
Dass sie so empfindet, macht mir etwas aus – obwohl vor mir nur die oberste Hausdame steht. Sie und Ivan gehören für mich mehr zur Familie, als meinen Eltern lieb wäre. Ihre Worte sind für mich oft der mütterliche Rat, der mir fehlt.
Ava stößt einen sanften Laut aus. »Es steht mir doch gar nicht zu, enttäuscht wegen Ihres Verhaltens zu sein«, erwidert sie nachgiebig und streicht mir über die Wange.
»Wenn nicht Ihnen, wem dann?«
»Nun, ich denke, dieses Gefühl stünde heute einem gewissen Neuankömmling zu«, bemerkt Ava und grinst leicht. Mit ihrem welligen braunen Haar, das bis zu ihren Schultern reicht, wirkt sie nicht wie die alte Frau, die sie bereits ist.
Genervt verdrehe ich die Augen. Als ob Mr Ich-bin-perfekt-und-komme-von-der-Armee enttäuscht ist. Er kann mich nicht leiden.
»Sie wollen einen Freund aus den Reihen des Personals?«, fährt Ava nach einer Pause höflich fort. »Wie wäre es, wenn Sie dann erst mal versuchen, diese Sache mit ihm in Ordnung zu bringen? Sie könnten durchaus überrascht werden, welche Art von Mann Sie heute in die Flucht schlagen wollten.«
»Dass er Soldat ist, weiß ich.«
»Und doch haben Sie ihn noch immer nicht nach seinem Namen gefragt. Stattdessen haben Sie sich den ganzen Tag in Ihrem Zimmer versteckt.«
»Wenn ich hier bin, brauche ich keinen Bodyguard an meiner Seite.«
»Sie haben mir einmal gesagt, dass Sie sich jemanden wünschen, der in Ihnen nicht nur ein reiches und verwöhntes Mädchen mit Titel sieht«, fährt Ava nachdenklich fort.
Da hat sie recht.
»Wie haben Sie es formuliert? Sie wollen, dass man Sie infrage stellt und nicht alles glaubt, was Sie sagen, sogar wenn es Stussist.« Ava lacht leise. »Sie wollen als der Mensch gesehen werden, der Sie sind. Sie wollen einen Vertrauten an Ihrer Seite, der Ihnen das Leben nicht schwerer macht, sondern Ihnen hilft, die Umstände hier zu meistern.«
Ich weiß genau, worauf sie hinauswill, erinnere mich gut an das Gespräch. Energisch schüttele ich den Kopf. »Dieser Jemand wird bestimmt nicht er sein.«
»Er?« Ava blickt mich sanft an. »Der namenlose Soldat, der Sie heute Nachmittag infrage gestellt hat? Sie haben recht. Wie kann er es nur wagen, genauso aufzutreten, wie Sie sich ihren Bodyguard schon immer gewünscht haben?«
Plötzlich muss ich schmunzeln. Eigentlich hat er nichts falsch gemacht. Endlich hat mir mal jemand Paroli geboten. Und was habe ich getan? Ihn unfreundlich behandelt. Manchmal bin ich so eine dämliche Kuh.
Ich komme nicht umhin, mir die Worte der Hausdame zu Herzen zu nehmen. Avas Rat bedeutet mir viel. Er bringt mich zur Einsicht. Vielleicht ist es Zeit, dem Neuankömmling eine echte Chance zu geben.
Doch trotz dieses Entschlusses habe ich noch immer mein anderes Ziel vor Augen. »Ich möchte trotzdem auch Annie als meine …« Ist es überhaupt möglich, beim Personal Freunde zu finden? Ich möchte es wirklich. Annie ist eine normale Frau, die nicht von mir erwartet, der perfekte Anhang der Familie zu sein. In ihren Augen liegt nie ein Vorwurf, keine Kritik, wenn ich aus der Reihe tanze. Manchmal glaube ich sogar, dass es sie in Wahrheit amüsiert. Und genau deshalb sehe ich eine Chance, dass Annie wirklich meine Freundin werden kann. Sie wird mit der echten Sam hinter dem Titel zurechtkommen und sie akzeptieren.
Avas Blick ruht auf mir. »Annie ist erst seit Kurzem hier«, erwidert sie. »Mit der Zeit werden Sie zwei schon miteinander warm werden. Nun sollten Sie sich aber bei ihrem Bodyguard entschuldigen gehen, damit nicht länger böses Blut fließt. Wer weiß, vielleicht hält diese Sache mal länger als einen Monat.«
Ich nicke erneut, völlig einsichtig über ihre Worte. »Wie heißt er denn nun?«
Es ist an der Zeit, ihn zu erfahren. Manchmal muss ich zugeben, wenn ich im Unrecht bin.
»Sein Name ist Jackson Haight.«